Januar 6, 2025

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Wie Anderssein zur Stärke wird: Dr. Simone Burels Weg zur Veränderung der Arbeitskultur

Im Sommer 2024 erschien Dr. Simone Burels “Neurodiversität in der Arbeitswelt: Handbuch für Entscheider:innen + Wie ein neurodiverser Lebenslauf wirklich aussieht.” Darin erzählt sie ihre persönliche Geschichte: Wie sie sich schon als Kind „anders“ fühlte, wie sie diese Andersartigkeit in der klassischen Arbeitswelt erlebte und schließlich lernte, diese Stärke für sich zu nutzen. In 15 Fragen und Antworten haben wir mit ihr über ihr Buch, das Anderssein, inklusive Sprache und vieles mehr gesprochen.

 

“Durch das Schreiben konnte ich meine Geschichte nicht nur besser verstehen und verarbeiten, sondern hoffentlich auch anderen Menschen Mut machen, ihre eigenen Herausforderungen anzunehmen und ihre Einzigartigkeit zu schätzen.”

1. Im Sommer erschien Ihr Handbuch über Neurodiversität am Arbeitsplatz. Wie kam es zu der Entscheidung, dieses Handbuch zu schreiben?

Nach meiner Promotion 2015 habe ich einen Abstecher in die „klassische Arbeitswelt“ gemacht, um mir selbst zu beweisen, dass ich in einem „normalen System“ vielleicht doch existieren konnte. Ich merkte aber schnell: ich war als Female Leader und als neurodiverse Person irgendwie fehl am Platz. Als mich mal wieder jemand durch das Telefon „nur nett angeschrien“ hatte, legte ich einfach im Satz auf. Dieser Jemand war der Geschäftsführer … für mich war hier eine Grenze erreicht, an der ich nicht mehr Teil dieses Unternehmens sein wollte. Das ist leider nicht so sehr ein Einzelfall, wie ich gerne glauben würde: Viele organisationale Systeme – und auch mein alter Arbeitsplatz – fördern es nicht gerade, dass Menschen sich in ihrer Ganzheit zeigen und einbringen können. Auch neurodiverse Menschen wie ich müssen „Masking“ betreiben, um keine Nachteile zu haben – privat wie beruflich. Mit meinem Handbuch möchte ich dazu beitragen, das Bewusstsein für Neurodiversität am Arbeitsplatz zu fördern und Führungskräften dabei helfen, die Talente und Stärken von neurodiversen Mitarbeitenden voll auszuschöpfen. Das Buch ist eine Leseanleitung aus Fach- und Erfahrungswissen, für alle, die selbst nicht neurodivers sind oder ihr Wissen vertiefen wollen, und enthält auch eine Reihe an Checklisten zu neurodiverser Kommunikation, Führung, Arbeits- und Zeitmanagement, Deep Works sowie HR-Prozessen (Rekrutierung, Auswahlverfahren, Job-Interview, Onboarding, BGM) sowie vielen Tipps zu hilfreicher Software- und App-Nutzung

 

2. Ihr Buch beginnt recht persönlich, Sie beschreiben, wie Sie sich schon als Kind „anders“ gefühlt haben und thematisieren auch Ihre körperliche Gesundheit. Wie war es für Sie, diese Geschichten niederzuschreiben und vielleicht sogar neu zu durchleben?

Der Schreibprozess war für mich wie eine Fortführung der „Fuck-Up-Night“, an der ich vor ein paar Jahren teilgenommen habe. Das ist eine Veranstaltung, bei der Menschen öffentlich erzählen, in welchen Situationen sie im Leben gescheitert sind. Die Idee hinter dem Konzept ist, Scheitern sichtbar zu machen und gemeinsam aus Fehlern lernen zu können. Meine Neurodiversität ist zwar kein Scheitern an sich, aber ich habe inzwischen aus vielen Situationen gelernt, in denen ich mit meiner Neurodiversität an toxischen Rahmenbedingungen gescheitert bin. Das alles niederzuschreiben war herausfordernd, aber auch befreiend. Durch das Schreiben konnte ich meine Geschichte nicht nur besser verstehen und verarbeiten, sondern hoffentlich auch anderen Menschen Mut machen, ihre eigenen Herausforderungen anzunehmen und ihre Einzigartigkeit zu schätzen. Denn unser Anderssein ist eine Stärke und es ist möglich, trotz oder gerade wegen dieser Unterschiede erfolgreich und glücklich zu sein.

 

3. Neurodivers, neurotypisch, neurodivergent – Sie erwähnen in Ihrem Buch bereits, dass diese Begriffe verwirrend sein können. Könnten Sie diese drei Begriffe für Leser:innen erklären, die damit noch nicht vertraut sind, bevor wir weitermachen?

Neurodivers oder neurodivergent ist ein neuerer anthropologischer bzw. soziologischer Begriff, der beschreibt, wie Reize aus der Umgebung im Gehirn auf eine „andere“ Weise verarbeitet werden, was u. a. bei Autismus, AD(H)S, Hochsensibilität (HSP) und bei vielen anderen chronischen körperlichen oder psychischen Krankheiten der Fall ist.
Glauben wir den Zahlen, ist in Deutschland ein Viertel der Bevölkerung neurodivers. Neurodiversität versteht psychische Merkmale ähnlich wie körperliche Merkmale (z. B. Hautfarbe, Haarfarbe oder Körpergröße) als Teil einer natürlichen genetischen Vielfalt. Das zu verstehen bedeutet, Menschen einzubeziehen und zu respektieren, dass deren Gehirn auf eine andere Weise funktioniert – ganz unabhängig von einer ihnen unterstellten Andersartigkeit, im negativen Sinne. Diese Sichtweise trägt dazu bei, eine Stigmatisierung zu verhindern. Dagegen steht die medizinische (v. a. psychiatrische) Sichtweise, die vor allem darauf abzielt, etwas Krankhaftes zu therapieren oder zu heilen. Einige Menschen im neurodiversen Spektrum überschreiten die diagnostische Schwelle für bspw. Autismus oder Legasthenie. Aber nicht bei allen neurodiversen Menschen muss dies so sein.

Neurodiverse Personen weichen also irgendwie von einer unterstellen „Normalität“ Diese „Normalität“ wird auch als neurotypisch bezeichnet. Neurotypisch meint die Mehrheit der Menschen, die sich in ihrer neurologischen Ausstattung, d. h. ihren Denkmustern, dem Wahrnehmen von Reizen und ihren Reaktionen darauf, eher ähnlich sind. Dadurch sind sie in der Lage, schulische, berufliche, gesellschaftliche und soziale Anforderungen mit den (der Allgemeinheit) zur Verfügung stehenden Mitteln und mit ähnlichem energetischen/zeitlichen Aufwand zu bewältigen. Für neurodiverse Personen dagegen ist es manchmal unmöglich, Dinge so zu tun, wie es alle anderen machen, auch gewöhnliche Dinge des täglichen Lebens. Wir gehen täglich über unsere Grenzen, nehmen uns nicht den Erholungsraum, den wir brauchen, verstoßen gegen vermeintliche Konventionen und bleiben vielfach unter unserem Potential. Das muss nicht sein, denn: wir sind einzigartig.

 

“Neurodiversität in der Unternehmenskultur zu ignorieren, hat zur Folge, viele Talente zu verpassen und das Verständnis für Kund*innen zu verlieren, die ebenso neurodivers sind.”

4. In Ihrem Buch sprechen Sie von den Stärken und Fähigkeiten neurodiverser Menschen. Warum denken Sie, dass viele Organisationen das Einstellen neurodiverser Menschen eher als Herausforderung denn als Bereicherung ansehen?

Organisationen haben oft das Gefühl, dass sie nicht die notwendigen Ressourcen oder das Wissen haben, um eine unterstützende Arbeitsumgebung für neurodiverse Mitarbeitende zu schaffen. Es bedeutet schlicht mehr Aufwand (nicht nur finanziell), denn oft müssen die gesamte Unternehmenskultur und vorhandene Führungsstile angepasst werden: Kommt beispielsweise bei Bewerbungsgesprächen jemand auf die Idee, ein potenzielles neues Teammitglied den Interview-Raum (allein!) erkunden zu lassen, bevor das Gespräch stattfindet? Wohl kaum, weil dadurch mehr Aufwand für die Organisation entsteht. Oder aber: Homeoffice gewähren, weil sich jemand nicht wohl unter Menschen fühlt? Ein Teamevent neuroinklusiv zu gestalten und vielleicht auf die Party, die Band und den Alkohol zu verzichten, weil das zu stark stimulieren könnte?
Dabei ist es eigentlich ja genau umgekehrt: Neurodiversität in der Unternehmenskultur zu ignorieren, hat zur Folge, viele Talente zu verpassen und das Verständnis für Kund*innen zu verlieren, die ebenso neurodivers sind.

 

5. Welche äußeren Faktoren haben Ihnen das Gefühl gegeben, dass Sie sich, wie Sie es nennen, „neurodivers outen“ können? Wie können Arbeitgeber:innen dabei unterstützen?

Mein Coming-out hat ziemlich lange gedauert. Erst Anfang 30 hatte ich den Mut und meine gut gepflegte Scham überwunden, komplett zu mir zu stehen. Da habe ich dann an der Fuck-Up-Night teilgenommen, die ich anfangs ja schon erwähnt hatte. Davor waren nur Teile meiner Familie und sehr enge Freund*innen eingeweiht, nicht einmal meine Tanten wussten Bescheid.
Es gibt ein schönes soziologisches Modell von Tanja Baudson, das beschreibt, wie sich die Identität im Laufe eines Coming-out-Prozesses verändert – im Prinzip, wie mit der Andersartigkeit umgegangen wird, also ob ich diese verstecken will oder ob ich dazu stehe und stolz darauf bin. Ich habe mich damit etwas eingehender beschäftigt und überlegt, was es genau bei mir war, das den Übergang zur letzten Phase eingeläutet hat, in der ich meine Neurodiversität sogar in meine berufliche Rolle integrieren kann. In meinem Fall waren es wahrscheinlich meine Arbeit in der Firma, die mich dann doch mehr und mehr „ablenkte“ sowie die Gründung meines Business-Netzwerks, „Neurodivers & female*: Autismus, AD(H)S & HSP Professionals“. Hier können sich neurodiverse Menschen, v.a. Frauen*, treffen und über ihr „Sosein“ in der (Berufs-)Welt austauschen, ohne stigmatisiert zu werden.
Ich kann auch Arbeitgeber*innen nur raten, einen Safer Space für ihre Mitarbeitenden zu schaffen. Hier gibt es einige tolle Best Practices wie Microsoft oder JP Morgan Chase, die ihre eigenen neurodiversen Communities haben (in diesem Falle: speziell für autistische Mitarbeitende).Vor allem SAP ist hier mit dem seit 2013 bestehenden Programm Autism at Work Vorreiterin. Hierzu gehört nicht nur die offene Kommunikation, sondern besonders auch die Freiheit in der Einteilung von Arbeit: morgens, mittags, abends, im Homeoffice oder vor Ort, im Großraum- oder Einzelbüro, analog oder digitral, mit einer langen oder vielen kurzen Pausen oder Unterbrechungen, …

 

“Werben Sie nur mit dem, was Ihre Organisation wirklich anbietet, und verkaufen Sie eine Laptop-Kamera nicht als attraktive IT-Ausstattung oder eine Büropflanze als Urban Gardening.”

6. In der Corona-Zeit konnten viele neurodivergente/neurodiverse Personen besser zur Geltung kommen. Was können Unternehmen daraus lernen und in die Zeit nach Corona mitnehmen?

Die Corona-Krise war für viele (sozial) grausam und für manche tödlich. Ich möchte das nicht verkennen, allerdings hatte sie für mich viele Erleichterungen parat. Es gab keine Vor-Ort-Termine auf der Bühne und mit Publikum mehr, Small Talk entfiel, weil soziale Kontakte es auch taten. Mir kam es sehr entgegen, dass ich 900 Menschen nicht mehr vor Ort, sondern aus sicherer Entfernung über gendergerechte Sprache & Female Leadership aufklären konnte, das war das Thema meines neuen Buches. Es fiel außerdem nicht mehr als seltsam auf, dass ich am liebsten im Homeoffice arbeitete, niemanden einlud und mich zu Treffen lieber außer Haus begab – so dass ich Anfang und Ende gut bestimmen konnte, ohne unhöflich zu wirken.
Wir hatten bei LUB schon weit vor Corona Homeoffice eingeführt, doch für andere Unternehmen war die Corona-Zeit in dieser Hinsicht sicherlich eine Lernerfahrung. Eine der wichtigsten Erkenntnisse ist dabei sicherlich die Bedeutung von Flexibilität und Remote-Arbeit. Unternehmen haben festgestellt, dass Homeoffice nicht per se unproduktiver macht, sondern sogar im Gegenteil die Produktivität (und das Wohlbefinden) von Mitarbeitenden steigern kann – sowohl von neurodiversen als auch von neurotypischen Menschen! Ich hoffe sehr, dass Unternehmen die positiven Aspekte der flexiblen Arbeitsmodelle, die während der Pandemie eingeführt wurden, nicht aus den Augen verlieren. Statt einer Rückkehr zur Büropflicht sollte eine gewisse Flexibilität beibehalten werden, um sicherzustellen, dass alle Mitarbeitenden ihr volles Potenzial entfalten können.

 

7. Ein wichtiger Punkt auf Ihrer Pullfaktoren-Checkliste ist inklusive Kommunikation. Haben Sie einen Tipp für Leser*innen, die in diesem Bereich noch Verbesserungen anstreben, wo sie anfangen können, um in ihrer Organisation inklusiver zu kommunizieren?

Am einfachsten ist es immer, bei sich selbst anzufangen – es kann beispielsweise helfen, die eigenen Pronomen in der E-Mail-Signatur zu hinterlegen oder sich eine Liste von Wörtern und Sätzen zu schreiben, auf die ich zukünftig verstärkt achten möchte. Ich kann mir z. B. vornehmen, mich bei neuen Personen immer mit Namen und Pronomen vorzustellen, dieses oder jenes Wort auf eine bestimmte Weise zu gendern oder nochmal innezuhalten und sich eine andere Formulierung zu überlegen, bevor ich „Person x leidet an Depressionen“ sage. Denn: Inklusive Sprache umfasst viele Diversity-Dimensionen, nicht nur Neurodiversität.

Im nächsten Schritt können Sie dann Ihr gesamtes Team über das Thema informieren, beispielsweise in einer Learning Session oder einem Fachvortrag. Laden Sie dafür am besten externe Expert*innen oder Kolleg*innen ein, die sich persönlich damit auskennen. Auch interne Sprachleitfäden sind ein guter Weg, um Unsicherheiten in der Kommunikation bestmöglich zu lösen.

 

8. Welche Benefits sind für neurodiverse Personen besonders wichtig, werden jedoch in Stellenanzeigen oft übersehen?

Oft sind Stellenanzeigen sehr vage gehalten, dabei sollten vor allem Rahmenbedingungen wie Arbeitsorte, eventuelle Reisetätigkeiten, nicht-monetäre Benefits und auch konkrete Gehaltsangaben unbedingt genannt werden. Denn viele neurodiverse Menschen haben spezielle Fixkosten für ihre Lebensgestaltung, z. B. Software zur Lesehilfe, medizinische Hilfsmittel wie Korsett, spezielle Lesebrillen, Hörgeräte, Rollstühle oder Emotional Support Animals.

Wichtig ist dabei vor allem Authentizität und Ehrlichkeit: Werben Sie nur mit dem, was Ihre Organisation wirklich anbietet, und verkaufen Sie eine Laptop-Kamera nicht als attraktive IT-Ausstattung oder eine Büropflanze als Urban Gardening.

 

9. „Krankheit“ oder „Störung“ – Sie erwähnen, dass dies keine geeigneten Begriffe sind, um Neurodiversität zu beschreiben. Wie können wir dazu beitragen, dass im Arbeitsumfeld nicht nur auf diese Weise über Neurodiversität gesprochen wird?

Oft kommen derartige Formulierungen nicht aus Bösartigkeit heraus, sondern aus Unwissenheit. Deshalb sind Sensibilitätstrainings ein wirksames Mittel, um das Verständnis für Neurodiversität zu fördern, Vorurteile abzubauen und ein inklusives Arbeitsumfeld zu schaffen. Dabei können neurodiverse Führungskräfte selbst mit gutem Vorbild vorangehen: Die Forschung zeigt, dass das Outing von Führungskräften zu einer Entstigmatisierung beiträgt und die Hürde für andere Teammitglieder senkt, sich bei Bedarf Hilfe zu suchen, zum Beispiel bei einer Psychotherapie – ich habe davon sehr profitiert (Stichwort: Diana-Effekt – benannt nach Diana, Princess of Wales, und der Bekanntgabe ihrer Depressionsbehandlung). Sicherlich gilt das nicht für alle Arbeitsumgebungen und ist nicht in jedem Team uneingeschränkt möglich – allerdings sollten Führungskräfte kritisch hinterfragen, warum dies so ist und ob sie in diesem Bereich Pionierarbeit leisten könnten.

 

10. Was ist ein nicht-inklusiver Fehler, den Sie häufig in Stellenanzeigen sehen?

Häufig werden bestimmte Gender Codes, also männlich oder weiblich konnotierte Wörter/Stereotype verwendet. Diese verstecken sich auch in unspezifischen Anforderungen, die nicht näher erläutert werden (z. B. jemand soll „analytisch“ sein – aber was soll überhaupt analysiert werden?). Nicht alle Menschen fühlen sich durch solche Beschreibungen gleich gut angesprochen. Das überschneidet sich dann auch mit dem Thema Neurodiversität: Passt die Stellenausschreibung überhaupt zur tatsächlichen Arbeit, oder wünscht sich die Anzeige eine „eierlegende Wollmilchsau“, also ein Rundum-Talent, das alles kann und alle Ihre Ansprüche erfüllt (Spoiler: so was existiert nicht)? Es sollte also auf jeden Fall darauf geachtet werden, dass keine Fähigkeiten eingefordert werden, die Bewerbende für die Stelle nicht brauchen (gerade, wenn es um so etwas wie Teamplay geht).

 

“Sprache beeinflusst, wie wir die Welt wahrnehmen und wie wir miteinander interagieren.”

11. Sie erzählen in Ihrem Buch über Ihre Erfahrungen mit einer patriarchalen Arbeitskultur, etwas, womit viele Menschen vertraut sind. Sie erwähnen Situationen, in denen Sie scherzhaft ‚Frau Doktor‘ genannt wurden. Wie groß ist Ihrer Meinung nach die Rolle, die Sprache in einer patriarchalen Arbeitskultur spielt?

Sehr groß! Sprache spiegelt oft subtile, aber tief verwurzelte Machtstrukturen und Geschlechterstereotype wider und verstärkt diese. Wenn ich scherzhaft als „Frau Doktor“ bezeichnet werde, untergräbt dies meine beruflichen Errungenschaften und reduziert mich auf mein Geschlecht. Sprache beeinflusst, wie wir die Welt wahrnehmen und wie wir miteinander interagieren. Wenn in einer Organisation eine Sprache verwendet wird, die Frauen oder andere marginalisierte Gruppen herabsetzt oder stereotypisiert, kann dies deren Selbstwertgefühl und berufliche Entwicklung negativ beeinflussen.
Deshalb ist es wichtig, auf die verwendete Sprache zu achten, um patriarchale Strukturen zu durchbrechen und ein Arbeitsumfeld zu schaffen, in dem sich alle Mitarbeiter wertgeschätzt und respektiert fühlen.

 

12. Wie kann man als Mitarbeiter:in professionell reagieren, wenn jemand bei der Arbeit Ausdrückee wie „das ist irre“, „der blinde Fleck“ oder „Sp*st“ verwendet?

Das Konzept der Gewaltfreien Kommunikation (GFK) nach Marshall Rosenberg kann dabei sehr hilfreich sein. GFK besteht aus vier Schritten: Beobachtung, Gefühl, Bedürfnis und Bitte. Zunächst sollten Sie die Situation beschreiben, ohne zu bewerten oder zu interpretieren. Zum Beispiel könnten Sie sagen: „Ich habe gehört, dass du den Ausdruck ‘das ist irre’ verwendet hast.“ Anschließend teilen Sie mit, wie Sie sich dabei fühlen, um die emotionale Wirkung der Worte zu verdeutlichen. Sie könnten sagen: „Das hat mich verletzt und irritiert.“ Danach erklären Sie, welches Bedürfnis bei Ihnen nicht erfüllt wurde. Zum Beispiel: „Ich habe das Bedürfnis nach einem respektvollen und inklusiven Arbeitsumfeld.“ Schließlich formulieren Sie eine konkrete Bitte, um die Situation zu verbessern. Zum Beispiel: „Könntest du bitte darauf achten, solche Ausdrücke in Zukunft zu vermeiden?“
Durch diese Methode können Sie Ihre Gefühle und Bedürfnisse klar und respektvoll kommunizieren, ohne die andere Person anzugreifen oder zu verurteilen. Dies fördert ein besseres Verständnis und eine konstruktive Lösung des Problems.

 

“Wenn sich Mitarbeitende inkludiert fühlen, arbeiten sie bis zu 83 % innovativer. Warum diese Vorteile also nicht nutzen?”

13. Wie hat sich Ihre Liebe zur Sprache im Laufe der Jahre entwickelt, und wo steht sie heute?

Geschriebene Texte haben es mir schon sehr früh angetan. Ich liebte das Lesen, egal ob Hanni-und-Nanni-Bücher oder Zeitschriften. Buchstaben waren meine Freund*innen. Das hat auch meine Studien- und schließlich meine Berufswahl nachhaltig geprägt: Nach meinem Studium der Anglistik und Germanistik inklusive Promotion begann ich eine Stelle in der Unternehmenskommunikation. Hier konnte ich alle Dinge aus meiner Doktorarbeit, an denen ich geforscht hatte, live anwenden (dachte ich zumindest). Ich hatte ein System für erfolgreiche Textproduktion entwickelt und an mehr als 400 ausgewählten Textsorten wie Leitbildern, Geschäftsberichten oder Mission Statements getestet. Als sich herausstellte, wie toxisch die Unternehmenskultur in der Organisation leider war, gründete ich kurzerhand meine eigene linguistische Unternehmensberatung, denn: Nach wie vor liebe ich die Schrift mehr als das mündliche Wort. Deshalb haben wir unseren Beratungsfokus auch auf inklusive Sprache gelegt!

 

14. Einfache Sprache ist Ihnen wichtig. Doch viele Organisationen entscheiden sich oft für B2 oder ein höheres Niveau, weil es professioneller wirkt. Warum sollten diese Unternehmen dennoch B1 in Betracht ziehen?

Inklusive Sprache ist eine der besten und zugleich günstigsten Möglichkeiten, Diversity Management zu machen. Sie erschließt neue Märkte und Zielgruppen und erhöht die Zufriedenheit bei Kund*innen und intern. Wenn sich Mitarbeitende inkludiert fühlen, arbeiten sie bis zu 83 % innovativer. Warum diese Vorteile also nicht nutzen? Neben der bereits genannten Einfachen, Leichten und barrierefreien Sprache, die sich vor allem auf den Informations-Zugang online und die Wortoberfläche beziehen, also die strukturelle Ebene, muss auch auf die inhaltliche Ebene, also die Mitbedeutungen, geachtet werden. Dies wird unter dem Begriff der diskriminierungsfreien/-armen Sprache diskutiert.

 

15. Was möchten Sie den Leser*innen noch mit auf den Weg geben?

Arbeitswelt, Gesellschaft und Medizin sind gerade erst auf dem Weg, Neurodiversität zu erkunden. Trotzdem können Sie selbst bereits jetzt aktiv werden – informieren Sie sich über das Thema, indem Sie beispielsweise mein Handbuch lesen oder dem Business-Netzwerk Neurodivers & female*: Autismus, AD(H)S & HSP Professionals beitreten. Es gibt aber noch viel mehr zu entdecken. Daher finden Sie untenstehend eine kleine Sammlung zum Weiterlesen, denn inzwischen gibt es einige Apps, Blogs oder Netzwerke, die spannende Ansätze, Informationen, Gedanken oder auch Hilfe zur Selbsthilfe präsentieren. Viel Spaß beim Klicken.

 

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